Antarktisches Meereis wächst von oben – durch Schnee
18. November 2024, von Stefanie Arndt
Foto: Stefanie Arndt/AWI
Seit ich im Alter von 18 Jahren an einem Tag der offenen Tür der Universität Hamburg ein Poster mit der Aufschrift „Polarmeteorologie“ gesehen habe, war die Antarktis mein großer Traum. Von da an habe ich alles darangesetzt, mir diesen Traum zu erfüllen. Heute untersuche ich als Mitglied des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg und zugleich Forscherin für das Alfred-Wegener-Institut (AWI) das Zusammenspiel von Eis und Schnee im antarktischen Weddellmeer.
Anders als im hohen Norden ist in der Antarktis das Meereis das gesamte Jahr von einer Schneedecke überzogen. Diese isolierende Decke spielt eine wichtige Rolle für den Energiehaushalt. Sie bestimmt, wie viel Wärmeenergie aufgenommen oder reflektiert wird – und sie bestimmt, wie viel Meereis entsteht. Denn das Eis wächst nicht nur dadurch, dass der Ozean gefriert. Vielmehr verwandelt sich der aufliegende Schnee in Eis. Um herauszufinden, wie genau das funktioniert, bin ich regelmäßig vor Ort. An der gigantischen Bucht des Weddellmeers betreibt das AWI eine große Forschungsstation. Das Weddellmeer selbst umfasst eine Fläche von 2,8 Millionen km2. Auf dem dortigen Meereis haben wir spezielle Bojen stationiert, die messen, wie viel Schnee gerade fällt. Zusätzlich nehme ich Proben.
Schnee ist nämlich nicht gleich Schnee: Ähnlich wie bei den Jahresringen von Bäumen gibt es verschiedene Schichten, an denen ich ablesen kann, welche klimatischen Bedingungen in den vergangenen Monaten in meinem Untersuchungsgebiet geherrscht haben. Mal ist der Schnee lockerer, mal dichter, mal haben sich kleine Eiskristalle gebildet, mal ist er vollständig gefroren. Dies genau zu untersuchen, hilft mir dabei, nachzuvollziehen, wie das Meereis des Weddellmeers wächst.
Was hat der Schnee damit zu tun, dass sich Eismassen bilden? Zwei wesentliche Prozesse sind bekannt: Wenn der Schnee durch Sonneneinstrahlung zu schmelzen beginnt, sickert Tauwasser durch die verbliebenen Schichten nach unten und gefriert, sobald die Temperaturen wieder sinken. So entsteht ein Rhythmus von Tauen und Gefrieren, durch den sich aufgelagertes Eis, sogenanntes „Aufeis“, bildet. Andererseits kann zusätzliche Feuchtigkeit auch aus dem Ozean stammen: Liegt genügend Schnee auf dem Eis, wird es unter der Last tiefer ins Meer gedrückt – so weit, bis Wasser hinauf schwappt und sich Schnee und Salzwasser vermischen. Gefriert dieses Gemisch, wird es als „Schnee-Eis“ bezeichnet. Beide Eis-Arten unterscheiden sich in ihrem Salzgehalt.
Somit wächst das Eis des Weddellmeers nicht nur von unten, indem Meerwasser gefriert, sondern viel mehr durch den Schnee von oben. Mit unseren Messdaten und Computer-Modellen konnten ich und mein Team zeigen, dass sich letzteres, das Schnee-Eis, insbesondere im östlichen Weddellmeer bildet. Anschließend werden große Eisschollen von der Meeresströmung und kalten Winden der Antarktis nach Nordwesten transportiert. So bedeckt das Eis eine immer größere Fläche. Das kann man sich vorstellen wie das Ausrollen eines Pizza-Teiges. Aufeis dagegen fanden wir vor allem weiter nördlich, wo es warm genug ist, sodass der Schnee in den Sommermonaten antaut.
Wie die Eismassen der Antarktis wachsen, ist also komplex. Es gefriert nicht einfach nur Meerwasser, vielmehr läuft dort eine ganze Reihe von Prozessen ab, bei denen Schnee eine zentrale Rolle spielt. In Zeiten des Klimawandels stellt sich entsprechend die Frage, wie sich diese Prozesse künftig entwickeln: Wird es mehr Niederschlag in Form von Schnee geben, der zu Eis werden kann? Oder wird sich das Klima so weit erwärmen, dass es langfristig keine ganzjährliche Schneeauflage mehr geben wird, diese beiden Prozesse zum Erliegen kommen und das Meereis im Weddellmeer schwindet?
Mehr Infos
Stefanie Arndt ist Meereisphysikerin und Expertin für antarktischen Schnee. Sie forscht am Alfred-Wegener-Institut und am Centrum für Erdsystemforschung der Universität Hamburg.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie