Lebensfeindliche Prozesse am Meeresboden
15. September 2025, von Geomar/CEN

Foto: IOW
Warum entstehen in der westlichen Ostsee immer wieder sauerstoffarme Zonen, die zu massenhaftem Fischsterben führen? Welche Rolle spielt dabei der aus dem Sediment freigesetzte toxische Schwefelwasserstoff? Um diesen Fragen nachzugehen, ist nun eine Expedition mit dem Forschungsschiff Elisabeth Mann Borgese in die Ostsee gestartet.
Mit an Bord ist Prof. Florian Scholz vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Der Biogeochemiker untersucht mit seiner Arbeitsgruppe, wie sich giftiger Schwefelwasserstoff am Meeresboden ausbreitet. „Wir wollen verstehen, warum solche Gebiete deutlich größer sind als bisher angenommen und die tatsächlichen Ausmaße dieser Zonen ermitteln“, sagt Scholz. Die Fahrt führt von der Flensburger Förde entlang der schleswig-holsteinischen Küste bis nach Fehmarn.
Die Expedition ist Teil der Forschungsmission mareXtreme der Deutschen Allianz für Meeresforschung (DAM). Sie soll dazu beitragen, eine koordinierte Strategie der Küstenländer zu entwickeln, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dafür soll die erwartete Zunahme klimabedingter mariner Naturgefahren, darunter schädliche Mikroorganismen und sauerstoffarmes Wasser, näher untersucht werden. Die Expedition fokussiert sich besonders auf die Untersuchung küstennaher sauerstoffarmer Zonen und Schwefelwasserstoff (H2S) am Meeresboden. Geleitet wird die Fahrt vom Geomar, das Schiff wird vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) betrieben. Dem Forschungsteam gehören auch Forschende der Universitäten Hamburg und Oldenburg an.
Küstensediment als Quelle für toxischen Schwefelwasserstoff
In der Kieler Bucht kommt es im Spätsommer regelmäßig zu einer starken Abnahme des Sauerstoffgehalts – eine Folge des Klimawandels und des massenhaften Eintrags von Nährstoffen ins Wasser, vorwiegend aus der Landwirtschaft. Das hat schwerwiegende Konsequenzen für Ökosysteme und die regionale Wirtschaft. Das Untersuchungsgebiet ist für das häufige Auftreten sauerstoffarmer Zonen im Spätsommer bekannt. Besonders problematisch ist dabei die Freisetzung von toxischem Schwefelwasserstoff am Meeresboden.
Für die Untersuchungen bleibt das Schiff in Küstennähe, denn obwohl Küstensedimente nur etwa neun Prozent des Meeresbodens ausmachen, spielen sie eine zentrale Rolle bei der Speicherung und dem Abbau von organischem Material, wie Algen-, Pflanzen- oder Tierresten. Unter sauerstoffreichen Bedingungen kann das organische Material zu CO₂ abgebaut werden. In der südwestlichen Ostsee treten aber im Spätsommer sauerstoffarme und sogar sauerstofffreie Zonen im bodennahen Wasser auf. Diese Bedingung favorisiert bestimmte Bakterien, die die Zersetzung des organischen Materials an die Atmung mit Sauerstoff-Alternativen koppeln. Sie nutzen dafür Sulfat, wovon es im Meerwasser reichlich gibt. Wird Sulfat reduziert, entsteht Schwefelwasserstoff. Er hat einen charakteristischen Geruch nach faulen Eiern und ist für viele Meeresorganismen giftig. Gelangt sauerstoffarmes bzw. schwefelwasserstoffhaltiges Wasser durch Auftrieb in flachere Wasserschichten, kann dies zu massenhaftem Fischsterben führen.
Die Forschenden messen mithilfe von Sensoren die Sauerstoff- und Schwefelwasserstoffkonzentrationen in der Wassersäule und bestimmen geochemische und mikrobiologische Faktoren am Meeresboden. Alle verfügbaren Umweltdaten fließen dann in numerische Modelle ein, mit deren Hilfe die Freisetzung von Schwefelwasserstoff vorhergesagt werden kann. Ziel ist es, besonders gefährdete Regionen zu identifizieren und das Risiko solcher Ereignisse für Stakeholder wie den Tourismus, die Fischerei und Aquakulturen einzuschätzen.
Algenblüte in der Ostsee
Während der Fahrt werden auch verschiedene Systeme getestet, um Cyanobakterien nachzuweisen. Diese machen einen großen Teil der sommerlichen Algenblüten in der Ostsee aus und können Toxine produzieren, die zum Teil zu Badeverboten an Stränden führen. Sterben sie ab, führt dies außerdem zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch in tieferen Wasserschichten. Der frühzeitige Nachweis von Cyanobakterien soll dann in Frühwarnsysteme eingebettet werden, um Menschen in Küstenregionen vor Schäden zu schützen.
„In der Ostsee laufen Prozesse wie Erwärmung, Versauerung und Eutrophierung ausgeprägter und schneller ab als in anderen Weltmeeren. Wir sprechen daher auch von der Ostsee als Zeitmaschine“, erklärt Mirjam Perner vom Geomar. „Die Ostsee zeigt uns in verdichteter Form, welche Folgen Klimawandel und Nährstoffeinträge haben können“, fügt Florian Scholz hinzu. „Wenn wir hier verstehen, wie Schwefelwasserstoff ins bodennahe Wasser gelangt und sich ausbreitet, gewinnen wir wichtige Erkenntnisse, die auch für andere Meeresregionen relevant sind.“