Kummer und Hoffnung im Harz: Wie Menschen den Wandel ihres Waldes erleben
5. Juni 2025, von Inga Janina Sievert

Foto: Inga Janina Sievert
Was löst dieses Bild vom Harz in Ihnen aus? Einen Schreck oder Trauer, weil so viele Fichtengerippe zu sehen sind? Hoffnung beim Anblick einzelner grüner Bäumchen? Oder Nostalgie, weil Sie schon einmal selbst auf dem Brocken waren? Aus welcher Perspektive Menschen auf den Verlust der Bäume blicken, kann zum Beispiel beeinflussen, ob und wie sie sich in Zukunft für den Wald oder Klimaschutz engagieren. Am Exzellenzcluster CLICCS der Universität Hamburg bin ich der Frage nachgegangen, wie Menschen im Harz den Wandel erleben und welche Emotionen sie damit verbinden.
Als Ethnologin begleitete ich Forst- und Feuerwehrleute oder Mitarbeitende des Nationalparks bei der Arbeit, war etwa bei Jagden dabei, sprach mit Lokalpolitiker:innen und Anwohner:innen. Welche Ursachen nennen die Menschen, wie gehen sie mit dem Waldsterben um und wie sehen sie die Zukunft?
Für die meisten Befragten ist eine Kombination von Faktoren schuld, dass der Wald verschwindet: Am häufigsten nennen sie den menschengemachten Klimawandel, Extremwetterereignisse, Borkenkäfer-Befall und schlechtes Management. Während viele den Zustand des Waldes als Krise und Bedrohung empfinden, sehen einige auch die Chance, den Wald langfristig umzugestalten. Die verschiedenen Perspektiven hängen stark von individuellen Erfahrungen ab. Doch jede Person, die ich im Wald traf, war emotional betroffen.
Die Reaktionen reichen von Trauer, Angst, Besorgnis oder Wut bis Hoffnung und Optimismus. Je enger der Bezug zum Wald und je größer die empfundenen Handlungsmöglichkeiten, desto stärker das Gefühl der Hoffnung. Oft haben die Personen widersprüchliche Emotionen: Der desolate Wald macht viele traurig und führt bei einigen auch wegen des gestiegenen Arbeitsaufwands zu Depressionen und Burnout. Förster Jörg formuliert es so: „Das geht einem richtig ans Herz. So viele Probleme! Da fällt man wirklich in ein Loch.“ Gleichzeitig betonen viele, wie wichtig es ist, optimistisch zu bleiben, um ihren Job fortsetzen zu können. Einige Befragte verknüpfen ihre Erfahrungen mit Erinnerungen an Krisen, die in der Vergangenheit überwunden wurden. Diese zyklische Sicht auf Krisen spendet Hoffnung. Wut zeigt sich vor allem als Reaktion bei Lokalpolitikern und richtet sich unter anderem politisch gegen den Nationalpark. Vor allem lokale Bezüge sind den Menschen wichtig und sorgen für Handlungsmacht. Der globale Diskurs zum Klimawandel spielt dagegen eine untergeordnete Rolle.
Und die Zukunft? Nationalpark-Mitarbeiter Reinhardt meint: „Die Zeit der dunklen Fichtenwälder ist definitiv vorbei.“ Keine bekannte Baumart kann den Wald retten, Einigkeit besteht aber darin, dass Mischwälder die Monokulturen ersetzen müssen. Im Wirtschaftswald setzt man in großen Teilen auf Nadelbaumarten – die wachsen schnell und stillen damit den großen Holzbedarf. Der Nationalpark strebt einen Buchenmischwald an. Hier werden Mutterbäume gepflanzt, die sich selbst vermehren sollen. Eine Kombination aus natürlicher Samenbildung und Aussaat scheint vielversprechend, da so die am besten an Standort und Klima angepassten Bäume entstehen. Noch etwa zwanzig Jahre wird die Aufforstung dauern. Das ist teuer und aufwendig. Es fehlt an Pflanzmaterial und Pflanzer:innen. Doch obwohl das Aussäen im deutschen Wald noch nicht üblich ist, gibt dies nun vielen Menschen Hoffnung. Sie sind sich einig, dass ihr Wald ganz anders, viel jünger und diverser aussehen wird.